Als Anspielung auf „Cosi Fan Tutte“ und „Die Fledermaus“ bringt Bernd Mottl den „Opernball“ von Richard Heuberger auf die Bühne. Das Grundthema des Stückes ist ein sexuell treuer Mann und die Stellung der Frau in der Gesellschaft.
Eine Ehe ist ein gesellschaftlich geschlossener Vertrag, der beiden Seiten Vorteile bringen sollte. An dieses Prinzip hat sich am besten Marguérite, eine bürgerliche Dame, exzentrisch von Margareta Klobucar verkörpert, angepasst, die in die Familie eine üppige Mitgift eingebracht hat, die ihr Mann an der Börse im Handumdrehen vermehrt. Georges ist kein treuer Ehemann. Er weiß geschickt seine Frau an der Nase herumzuführe
n, indem er seine Rendezvous als Geschäftsreisen ausgibt. Seine Frau erweist sich jedoch als eine höchst kluge und geschäftstüchtige Frau. Sie spielt perfekt ihre Rolle einer ahnungslosen Frau, kennt jedoch jede Ausrede und jeden Trick ihres Mannes. „Jedes Jahr schickt er sich selbst eine Depesche, die ihn auf eine dringende Geschäftsreise ruft, und jedes Jahr geht er stattdessen zum Opernball.“ (Anmerkung der Redaktion: keine wörtliche Wiedergabe). Sie zögert keine Sekunde, ein Rendezvous für ihren Mann mit einer anderen Frau auszumachen, denn für sie ist diese Ehe ein reiner Vertrag, dessen Inhalt Geld ist. Ob sie sich hier weiblich verhält ist eine Frage der Überlegung. Im Gegensatz zur jungen Angéle (Nadja Mchantaf) kennt
sie keine Eifersucht, die biologisch gesehen ausschließlich männlich ist.
Angéle ist eine typische Ehefrau, die im Glauben lebt, ihr Ehemann sei eine Ausnahme und ist ihr treu. Der schlechte Einfluss von Paris, dieser verdorbenen Stadt der Lüste und Phantasien, hat ihren Mann auf einen falschen Weg gebracht. Doch Lüste, Phantasien gibt es überall, es benötigt nur einen richtigen Ansporn und die gesellschaftliche Bewilligung bis diese endlich zu ihrer Erfüllung gelangen. Aus einer englischen Zeitung, 1908: „Gesucht. Eine wirklich hässliche, aber erfahrene und tüchtige Gouvernante zur Beaufsichtigung und Erziehung von drei Mädchen, deren ältestes 16 Jahre alt ist… Brillante Konversationsgabe, liebenswürdige Manieren und körperliche Schönheit nicht gewünscht, da der Vater viel zu Hause ist und außerdem erwachsene Söhne vorhanden sind.“ Aus diesem Inserat kommen die geheimen Ängste und Wünsche der damaligen
und auch noch heutigen Gesellschaft. Naiv, wird sie durch die Ehe ihrer Tante, Madame Beaubuisson (Lotte Marquardt), inspiriert. Während sie anmerkt, es sei schön zu sehen, dass es glückliche Ehen noch im Alter gibt, merkt Georges gefühlskalt an, dass glückliche Ehen ausschließlich im hohen Alter zu finden sind, wohl wissend von Beaubuissons Liaison mit Hortense.
Hortense, die Domestikin vom Haus Duménil, hervorragend von Sieglinde Feldhofer verkörpert, hat eine ziemlich gleiche Sicht auf eine Beziehung wie Marguérite. Als eine Frau aus der Unterschicht hat sie kaum Chancen, einen Reichen zu heiraten, nutzt daher die Schwäche des Ehemannes von Madame Beaubuisson aus, wo sie einen fairen Vertrag hat: Geld gegen Sex mit Ablaufdatum (das hohe Alter von Herrn Beaubuisson (Gerhard Ernst). Gleichzeitig sehnt sie sich jedoch nach Liebe, wobei sie den Geldfaktor
nicht ganz aus dem Sinn bekommt, denn ein Mann ist in ihrem Sinne einer, der Geld heranschafft. Dabei verwandelt sie sich beinahe in eine Frau, mit der jeder Vergnügen gegen Geld haben kann. Denn auf die Frage, mit wem sie auf dem Opernball war, bleibt ihr nur noch eine Antwort übrig: “Es ist leichter zu sagen, mit wem ich nicht war“.
Die Operette schneidet neben der sexuellen Treue eines Mannes auch das Thema der Stellung in der Gesellschaft an. In Paris im 19. Jahrhundert zeichneten sich die Unterschiede in den Schichten sehr stark ab. Diese waren nicht nur an der pompösen Lebensweise zu erkennen, sondern vor allem an der Kleidung. Die Damen und Herren aus der höheren Gesellschaft konnten sich teure Stoffe leisten. Bälle wurden vorwiegend dazu genutzt, eine gute Heiratspartie zu finden. Aus einem wichtigen Element des Heiratsmarktes verwandelt sich der Ball in ein Motel, wo man sich nicht mit der eigenen oder einer zukünftigen Frau, so
ndern m
it einer anonymen Begleitung in aller Öffentlichkeit, jedoch unerkannt, treffen kann. Während Herr Dumétil (brillant durch Martin Fournier verkörpert), der von allen kurz Georges genannt wird, sein Vermögen innerhalb von zwei Stunden an der Börse verdoppelt, gibt Madame Beaubuisson entsetzt an, es sollten alle wie sie das Geld auf ehrliche Art und Weise verdienen, nämlich durchs Erbe. Oder es gibt die armen Trottel, wie sie Georges freundlich nennt, das Arbeitervolk, die sein Geld verdienen muss, so wie Paul Aubier, der Ehemann von Angéle. Als Frau bist du immer deinem Stand ausgeliefert. Entweder konnte eine Frau gut heiraten oder blieb für immer ein Domestik, das den gelangweilten Ehemännern ein Spiel gegen Geld bot.
Ein schriller Kontrast herrschte in der Kostümwahl. Denn die feine französische Gesellschaft, in Seide und glänzende konservative Kleidungsstücke gekleidet, hüllte sich während des Karnevals ausnahmsweise in Latex. Eine falsche Vorstellung, die dem Zuschauer wohl die Lust und sexuelle Phantasien von Paris vermitteln sollte. Nicht, dass diese der damaligen Zeit fremd waren und eher auf der moderne Pornografie-Szene beruht, war dies außer anregend und geil abstoßend unweiblich und unmännlich. Als ob heutzutage Sexualität ausschließlich auf dem Niveau der Sexshops und Pornoseiten möglich ist.
Das Stück scheint keinen Vorschlag einer Idylle anzubieten. Die Operette will eher die Frage, ob es besser ist, einen sexuell treuen oder einen sexuell untreuen Ehemann zu haben bzw. ob es gesellschaftlich gesehen gut ist, als Frau aus einer unteren Schicht ihren Unterhalt mithilfe von Sex zu verdienen, offen lassen.
VS
Fotos: Grazer Oper