In tiefer Trauer verabschiedet sich das Österreichische Filmmuseum von einem der letzten Renaissance-Menschen des Kinos: Am 17. September 2014 ist Peter von Bagh nach langer Krankheit 71-jährig verstorben. „He died with his boots on“, schildert sein Freund und Kollege Antti Alanen auf seinem Blog den Abschied von einem Menschen, dessen Entdeckerleidenschaft und Forscherdrang sich in einem Werk niederschlugen, dessen Dimensionen kaum zu fassen sind – das Wirken von Peter von Bagh als (Film-)Historiker reicht weit über seine Arbeit als Autor von mehr als 50 Filmen und TV-Serien sowie Dutzenden selbstverfassten Büchern zum Kino hinaus. Als Herausgeber finnischer Übersetzungen handverlesener Klassiker der Literatur und Filmgeschichtsschreibung sowie von zahlreichen Musikveröffentlichungen, als Verfasser vieler Hörspiele, als Vortragender und Kurator, als entscheidender Mitgestalter des Finnischen Filmarchivs und als Mitbegründer wie Leiter diverser Festivals hat Peter von Bagh die finnische Kulturlandschaft entscheidend mitgeprägt und im internationalen Kinogeschehen tiefe Spuren hinterlassen – zuletzt etwa seit 2001 als Kodirektor von „Il Cinema Ritrovato“ in Bologna, wo er Cinephilen immer wieder neue, teils vergessene Kino-Kontinente erschloss.
„Quantity, never quality“, pflegte Von Bagh selbst mit typischem Humor und Bescheidenheit (und unverwechselbarem finnischen Akzent) über seine unglaubliche Produktivität zu scherzen: Das Gegenteil war natürlich der Fall. Hinter seinem jovialen Witz und überschäumendem Enthusiasmus verbargen sich zugleich tiefe Ernsthaftigkeit und ein stupendes Wissen über das Kino – und die Welt, wie sie sich in Filmen spiegelt. Mustergültig belegt das sein eigenes Werk als Regisseur, mit dem er vor allem – aber nicht nur – Kino und Geschichte Finnlands zutiefst persönlich zum Leben erweckte und dabei stets auf eine Weise von den Dingen erzählte, die weit über den nationalen oder rein filmischen Bezug hinausgingen: Er sah das Kino als ein Medium mit utopischer Kraft, um „an Wahrheiten zu gelangen, zu denen man auf andere Weise nicht vorstoßen kann“.
Diese Wahrheitssuche trieb ihn unermüdlich an: „Wenn du vier unvollendete Projekte hast und nicht weißt, wie du sie zu Ende bringen sollst, beginne ein Neues“, war Von Baghs Motto – vielleicht lag es auch an der erschlagenden Fülle seines Werks, dass seine internationale Entdeckung als einer der Großen des Essayfilms erst verspätet erfolgte, nachdem er schon seit Dekaden als Kritiker, Historiker und Festivalmacher – etwa des legendären Midnight Sun Film Festivals, das er 1986 mit Aki Kaurismäki ins Leben rief – etabliert war. Beginnend mit einer Werkschau beim Film Festival Rotterdam 2012 wurde das Werk Von Baghs endlich in größerem Rahmen außerhalb seiner Heimat entdeckt und gefeiert, in den letzten beiden Jahren folgten weltweit Retrospektiven und Ehrungen.
Gemeinsam mit Olaf Möller hat Peter von Bagh so noch die Schau „Finnland – Der Film“ für das Österreichische Filmmuseum zusammengestellt: eine Passage durch das Kino und die Entwicklung seiner Heimat, begleitet von eigenen Regiearbeiten – und, so wäre es geplant gewesen, seiner unverzichtbaren Präsenz und Intelligenz. Statt der geplanten Gespräche wird sein enger Freund und Mitstreiter Möller nun in den Einführungen die Erinnerung an eine herausragende Figur des Kinos beschwören, Von Baghs Stimme wird nur mehr als Erzähler seiner Filme erklingen: ein Nachhall seiner manchmal ironischen, manchmal melancholischen, immer tiefschürfenden, dialektischen und bereichernden Gedankenwelt. In der Utopie Kino, an die er immer geglaubt hat, ist Von Baghs Vermächtnis bewahrt.