Das System des selektiven Vertriebs für hochwertige Markenprodukte hat sich im europäischen Parfümerie-Einzelhandel seit Jahrzehenten bewährt. Die Kunden schätzen das Einkaufsumfeld, qualifizierte Fachberatung und die große Auswahl innovativer und qualitativ hochwertiger Produkte. Mit der Erneuerung der europäischen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen wurde, wegen des Nutzens für den Endverbraucher, auch politisch die kartellrechtliche Grundlage für dieses System bestätigt.
Die Handhabung in der Praxis setzt einen sorgfältigen und auf das Ziel des Verbrauchernutzens ausgerichteten Umgang mit diesen Privilegien voraus – auf allen Gebieten.
Selektiver Vertrieb nutzt dem Verbraucher
Die Geschichte des selektiven Vertriebs in Europa ist lang. Ebenso lang war das System des selektiven Vertriebs, oder wie Fachleute es formulieren, von „vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen“ Gegenstand von Diskussionen. Im Zentrum aller Betrachtungen steht dabei immer der Nutzen für den Verbraucher und das ist gut und richtig so! Nicht immer so genau im Fokus der Wettbewerbshüter sind dagegen die Auswirkungen auf das Marktgeschehen, speziell für kleine und mittlere Unternehmen. Wie es ein Vertreter der europäischen Wettbewerbsbehörde einmal sinngemäß formulierte: Wir sind keine Schutzeinheit für KMUs und niemand wird gezwungen Verträge abzuschließen die ihn selbst benachteiligen. Auch diese Argumentation ist unter Marktgesichtspunkten richtig und nicht von der Hand zu weisen.
Dennoch, wenn es um den Nutzten für den Verbraucher geht, müssen diskriminierungsfreie Kriterien zugrunde liegen die diesen Nutzten berücksichtigen und das Vertriebssystem rechtfertigen. Dazu zählen ausschließlich qualitative Kriterien wie zum Beispiel besonders qualifizierte Mitarbeiter, Fachberatung, ein gehobenes Einkaufsumfeld, eine entsprechende Ausstattung und Einrichtung des Geschäfts, ein breites und tiefes Sortiment, die Vielzahl von Marken und Produkten und damit die Möglichkeit auch neue und erklärungsbedürftige Produktinnovationen entwickeln und adäquat vermarkten zu können. Von Anfang an bestand und besteht auch Einvernehmen darüber, dass sich die selektiven Vertriebsverträge ausschließlich an qualitativen Kriterien orientieren sollten.
Quantitative Kriterien fördern das Ungleichgewicht
Eine Beschränkung des Wettbewerbs durch quantitative Kriterien wurde daher von Anfang an ausgeschlossen. Einzige Ausnahme: Ein begrenzter Mindestumsatz. Als einziges quantitatives Kriterium wird er zunehmend von den Herstellern genutzt um Duck auf den Handel auszuüben – durch nicht mehr nachvollziehbare Erhöhungen und die Sanktionierung von Unterschreitungen: Wo liegt der Gewinn für den Kunden, wenn der Handel mit einer Marke X einen jährlichen Mindestumsatz von xx.xxx EUR realisieren muss? Sichert der Mindestumsatz den Nutzen für den Kunden, die Existenz des Systems oder fördert er den Wettbewerb?
Machen wir uns nichts vor! Wenn Mindestumsätze eine Höhe erreichen, die es besonders kleinen Händlern zunehmend unmöglich macht andere Produkte und Marken aufzunehmen, oder im Angebot zu halten, wird damit in den Wettbewerb eingegriffen. Die Lage wird zusätzlich dadurch verschärft, dass die Aufnahme neuer Linien und Produkte desselben Herstellers über den bestehenden Vertrag erzwungen werden können. Das führt letztlich dazu, dass immer mehr Kapital alleine durch diese Marke bzw. diesen Lieferanten gebunden wird und in den Regalen immer weniger Platz für Wettbewerbsprodukte bleibt.
Mindestumsätze in der Kritik
Nach der europäischen Gesetzgebung sind auch im Ausnahmefall des selektiven Vertriebs nur Wettbewerbsbeschränkungen zuzulassen, die für die Verwirklichung des Systems, dass letztlich immer dem Verbraucher nutzen soll, unerlässlich sind.
Natürlich sind Mindestumsätze von Herstellerseite unter Kostengesichtspunkten durchaus wünschenswert. Wenn diese als Ausnahme zulässig sein sollen, dann muss deren Festlegung aber nachvollziehbar, transparent und nichtdiskriminierend sein. Dazu gehört auch, dass lokale Standort- und Marktbedingungen berücksichtigt werden.
Fraglich ist in der derzeitigen Praxis neben der ständigen Erweiterung des Vertragssortimentes die Anhebung von Mindestumsätzen in Größenordnungen die Unternehmen auf Handels- wie Herstellerseite vom Markt ausschließen bzw. verdrängen und damit mittelbar zu einer Marktabschottung führen können. Weniger Verkaufsstellen in Folge überhöhter Mindestumsätze, führe letztlich auch zu immer weniger Wettbewerb innerhalb der Marke und damit fast zwangsläufig zu höheren Verbraucherpreisen für die Produkte dieser Marke.
Auswirkungen auf den europäischen Binnenmarkt
Zusätzlichen behindern diese Praktiken den freien Warenverkehr innerhalb des Vertriebssystems in der EU bzw. im EWR. Durch die Höhe der von nationalen Markenvertriebspartnern oder Lieferanten geforderten Mindestumsätze, hat der Handel kaum die Möglichkeiten an anderer autorisierter Stelle in der EU einkaufen zu können. Das verhindert günstigere Käufe innerhalb des selektiven Vertriebssystems im europäischen Binnenmarkt. Erschwerend wirkt hier, dass bei einigen Marken das Nichterreichen des Mindestumsatzes zusätzlich finanziell oder durch Vertragsbeendigung sanktioniert wird. Verfolgen ein oder mehrere marktstarke Teilnehmer diese Strategie gibt es für das einzelne Unternehmen zudem kaum Möglichkeiten auf andere Marken auszuweichen.
Ein solches Vorgehen ist weder mit dem Wettbewerbsrecht, noch mit der Idee des Binnenmarktes vereinbar. Damit gefährdet die unreflektierte Handhabung des Instruments der Mindestumsätze die Funktion des gesamten Vertriebssystems. Es bleibt zu hoffen, dass die beteiligten Hersteller im Sinne der wirtschaftlichen Vernunft, von Mindestumsätzen als Mittel der Durchsetzung einseitiger Herstellerinteressen Abstand nehmen und den Nutzen des selektiven Vertriebs für die Verbraucher nicht aus den Augen verlieren.
[Bundesverband Parfümerien e.V./Elmar Keldenich]