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Selbstaufgabe gegen Selbstbestimmung
27.07.2010
Franz Grillparzer ist wohl in den Ohren der meisten nicht gerade ein Garant für unterhaltsame Lesestunden. „Der Traum ein Leben“ und „König Ottokars Glück und Ende“ sind wohl die bekanntesten seiner Werke, doch verdient es ein anderes viel mehr, im Mittelpunkt zu stehen. „Das goldene Vlies“ ist eine Trilogie, die mit ihrer Thematik sehr modern ist: Die dominante Frau versucht sich gegen den Mann durchzusetzen.

Die Argonauten kommen in das fremde Land Kolchis, von dem sie das goldene Vlies rauben möchten. In dieser kriegerischen Atmosphäre verlieben sich die wilde und wunderschöne Prinzessin Medea und der griechische Held Jason in einander. Sie rettet ihm mehrfach das Leben, doch erwartet er viel mehr: Sie soll mit ihm fliehen! Sie soll ihre Heimat verraten, den Tod ihrer Familie ungerächt lassen und sogar Schuld auf sich nehmen und mit dem Fremden mitziehen!

In diesem Moment fühlt sich auch jede Leserin zwiegespalten. Doch ist das eine Love-Story? Können die beiden glücklich werden? Gibt es ein Happy End? Natürlich nicht, denn in der Antike bevorzugte man die Tragödie.

Zurück in Griechenland wird aus dem liebevollen, verrückten und aufregenden Jason ein furchtbarer, grausamer Mann. Er widmet sich nicht mehr seiner Geliebten Medea, weil er durch sie und ihre gemeinsamen Kinder sein Ansehen verloren hat. Sie ist in den Augen der Griechen nur eine Fremde, eine ungebildete Wilde. In dieser Not trifft Jason auf Kreusa, die ebenfalls eine Prinzessin ist und das absolute Gegenteil Medeas darstellt. Er und sogar seine Kinder fühlen sich zu diesem Mädchen stärker hingezogen, was Medea schlussendlich in den Wahnsinn und dann zum Kindsmord treibt. Am Ende verlässt sie Jason, um das goldene Vlies zurück nach Delphi zu bringen, um sich dann dort richten zu lassen.

Die dominante und selbstbestimmte Frau wird in diesem Stück zum Opfer. Es ist ein fortwährender Kampf für sie und man leidet mit ihr. Liebe wird zu Schmerz und Hass. Ein Thema, was wohl vielen Frauen geläufig ist. Sie konnte sich selbst nicht aufgeben, nur um dem Willen ihres Mannes zu genügen. Auch wenn sie es kurzzeitig versuchte, war sie doch immer sie selbst. Sie war eine Ausländerin, die mit ihren Gebräuchen die Einwohner Griechenlands verunsicherte. Passieren genau diese Dinge nicht auch noch heute? Sind Frauen, die ein Kopftuch tragen, nicht genau so stigmatisiert, wie Medea es war? Man fürchtet sich vor dem Fremden, doch in der Fremde wirkt es attraktiv.

Grillparzer schuf mit „Das goldene Vlies“, das 1819 entstanden ist, anhand griechischer Mythen ein Stück, dass heute noch überraschend aktuell ist. Es berührt und rüttelt auf.

(dw)

Foto: Andreas Praefcke

die-frau.ch