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Hunderte Männer, die versuchen, eine Vergewaltigung zu vertuschen
15.06.2010
„Sturm“ ist ein Filmtitel, der uns ziemlich wenig über Inhalt und Problematik verrät, er läst jedem genug Spielraum, ihn auf seine Art und Weise zu deuten. Genauso wie bei den Auslegungen über das Leitthema des Filmes. Es geht um die Meinung, Wissen, Gedanken und Erfahrungen jedes Einzelnen.

Hannah deckt in „Sturm“ durch ihr Durchhaltevermögen und ihre Sturheit die Vergewaltigung und Misshandlung einheimischer Frauen durch Soldaten während der Kriegswirren in Bosnien auf, ein Thema, das in dieser Form zum ersten Mal öffentlich präsentiert wird.

Beim Publikumsgespräch anlässlich der Filmpremiere wurde die Handlung des Filmes von einem jungen Mann so zusammengefasst: „Hunderte Männer, die versuchen, eine Vergewaltigung zu vertuschen“. Auf die Frage, ob der Regisseur seinen Film ebenso sieht, antwortete Hans-Christian Schmid: „Ich habe ihm nicht widersprochen. Aber es war nicht das Hauptthema des Filmes.“

die-frau.at: Herr Schmid, Sie geben an, dass es Ihre Motivation für den Film war, die Struktur und die Funktionalität des Tribunals darzustellen. Bei der Vorschau wird man damit konfrontiert, dass eine Frau, die keine Chefin vom Gerichtshof ist, am meisten Leistung erbringt.

Hans-Christian Schmid: Wir haben da eine Frau kennen gelernt, die keine Chefin, sondern nur eine Anklägerin ist, und mit 15 Männern zusammen arbeitet. Und das hat uns natürlich interessiert. Warum genau diese Frau diesen Job macht und womit sie dann zu tun hat Tag für Tag. Das Gefühl, dass die Männer untätig waren, habe ich eigentlich nicht. Dass ihr Kollege als ihr Vorgesetzter vorgezogen wird, ist möglicherweise typisch: dass jemand, der etwas diplomatischer ist und etwas glatter ist als sie, den Vorzug bekommt bei der Beförderung. Und dass jemand wie Hannah durch ihre Ecken und Kanten nicht wahr genommen wird. Der ist nunmal viel pragmatischer als sie. Fachlich respektiert ist sie schon. Es ist nur nicht das Kernthema von „Sturm“, dass sie sich als Frau an diesem Arbeitsplatz nicht durchsetzen kann. Es geht viel mehr darum, zu zeigen, dass sie als Idealistin angefangen hat, und dass sie bei ihrer professionellen Leistung mit ihren Werten zu kämpfen hat und an den Punkt kommt, wo sie einfach nicht weiter kommt. Und es werden auch die anderen Charaktere gezeigt, wie Ihr Lebensgefährte, der EU-Politiker oder der Kollege Keeth, die einfach sagen: Wir lassen es an uns nicht so nah ran kommen.

die-frau.at: Wird also beim Gericht der emotionale Teil gar nicht zugelassen?

Hans-Christian Schmid: Das sollte man auch nicht. Das gilt auch für Hannah. Wenn man sich als Ankläger persönlich auf die Schicksale einlässt, wird man ziemlich schnell verrückt. Das ist dann nicht auszuhalten. Letzten Endes ist es für den Ausgang des Prozesses wichtig, unabhängig von den Personen eine übergreifende Wahrheit festzustellen. Wenn Sie die Rechtsanwälte, Richter danach fragen, dann werden Sie hören, dass das Einlassen auf die Person eigentlich hinderlich ist.

die-frau.at: Hat dieser emotionaler Anfang denn Hannah nicht weiter gebracht?

Hans-Christian Schmid: Genau das ist das Unglaublichste an dem Fall. Das war auch das, was für sie und für die Zeugin sehr wichtig war. Sie geht auch mit einem sehr großen Gefühl von Schuld in diese Geschichte, weil der Bruder der Zeugin stirbt und sie dabei dem Fall eine ganz andere Wendung verleiht. Bei den männlichen Kollegen geht es darum, möglichst schnell den Fall zu lösen, doch sie verzögert mit ihren neuen Ermittlungen. Ist es denn dann richtig, dass Hannah diese eine Person mehr wertet als die fünf zusammengestellen, oder ist das falsch? Es gibt keine einfachen Lösungen. Alles wird mit wenn und aber behandelt. Dabei sollten Kompromisse eingegangen werden.

die-frau.at: Gibt es immer noch eine Verfolgung und Bedrohung von Frauen, die die Kriegsverbrechen aufdecken wollen?

Hans-Christian Schmid: Es kommt vor, passiert immer kurz davor, wenn die Frauen sich bereit erklären, nach Den Haag zu fahren, und wenn aus irgendwelchen Gründe der Name und der Ort publik wird. Und dann wird es einfach, Versuche zu unternehmen, diese Zeugen einzuschüchtern. Auf jeden Fall haben die Frauen damit zu rechnen, dass diese Gefahr besteht.

die-frau.at: Basiert die Geschichte der Zeugin des Vergewaltigungslagers auf einer authentischen Geschichte?

Hans-Christian Schmid: Alles setzt sich aus einzelnen Stücken zusammen. Wir wollten nicht eine bestimmte Geschichte erzählen. Es gab ein Vergewaltigungslager, es heißt Villina Flace, das war ein ehemaliges Hotel in der Nähe von Wiese Grad. Man kann dort hingehen ins Hotel, es ist ein Wellness-Spa. Auf der der anderen Seite ist es unglaublich unheimlich angesichts der Geschichte der Vergangenheit. Es gibt jedoch viele Zeuginnen, denen gesagt wird: Danke für die Geschichte, wir wollen aber nur diesen bestimmten Teil. Denn die Anklage lautet nicht Vergewaltigung, sondern etwas anderes. Und es gibt auch Zeuginnen, die nicht aussagen durften, weil es für das Tribunal von Vorteil war, die Zeit des Prozesses zu kürzen. Mittlerweile sollte Villina Flace verhandelt werden.

die-frau.at: Mich, als Frau, hat am meisten die Szene berührt, bei der eine Mutter mit ihrem Baby zusammengeschlagen wurde und die anderen Frauen nur zuschauten und nichts dagegen unternommen haben. Würden Sie, als Mann, ebenso untätig daneben stehen bleiben?

Hans-Christian Schmid:Ich glaube nicht, dass es hier viel damit zu tun hat, ob man da als Frau oder als Mann steht. Da kenne ich jetzt die muslimischen Männer zu wenig, um zu sagen, die hätten was unternommen. Ich glaube, es sei von Person zu Person unterschiedlich. Ich stelle mir vor, dass die Einschüchterung, die Angst einfach so groß ist.

(vs)


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