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"Meine Fotografie würde ich nicht als Kunst einstufen, eher als eine Dokumentation des Lebens vor der eigenen Haustür"
08.06.2012
die.frau: Können Sie uns zu Beginn erzählen, wo Sie geboren wurden, was und wo Sie studiert haben, ob Sie irgendwelche Preise bekommen haben, wo Sie wohnen, und warum genau in der Stadt, in der Sie wohnen?

Geboren bin ich 1973 in einem kleinen Städtchen in Norddeutschland, direkt an der deutsch-niederländischen Grenze. Nach dem Studium der Wirtschafsinformatik bin ich wegen eines Jobs vor 14 Jahren zur spannenden Zeit des ersten Internet-Booms nach Berlin gezogen. Ich arbeite auch heute noch als Projektleiter für einen Internet-Dienstleister.

die.frau: Haben Sie irgendwelche Preise gewonnen?

Preise habe ich bisher nicht erhalten, nicht zuletzt, weil ich nie an entsprechenden Ausschreibungen teilgenommen habe und generell auch nicht viel davon halte.Arbeiten von mir sind in den letzten Jahren hier publiziert worden:
Leica Fotografie International (LFI) – 2012
Samsung NX200 Kampagne - 2011
Das Magazin - 2011
MOMENT Magazin - 2010
Basiswissen Fotografie - Addison Wesley - 2007
Deutsches Ärzteblatt - 2006
Ausstellungen:
Seconds2Real "Fascination Street" - Wien 2012
Seconds2Real "Fascination Street" - Berlin 2011
From Distant Streets" - Louisville USA 2011
 Look11 - Liverpool 2001
BERLIN.REAL, Fenster61 Gallerie - Berlin 2009

die-frau: Was bedeutet für Sie Kunst?

Man hört oft 'Kunst kommt von Können'. Ich finde das sehr passend, sicherlich ergänzt um den Anspruch, dass eine Arbeit auch immer einen eigenen Ausdruck haben sollte. Generell sollte Kunst den Betrachter ansprechen, positiv wie negativ.  Meine Fotografie würde ich nicht als Kunst einstufen, eher als eine Dokumentation des Lebens  vor der eigenen Haustür. Ich bin dabei wenig kreativ, lichte lediglich Situationen ab, die auch ohne mich so stattgefunden hätten. Im besten Fall schaffe ich damit ein Zeitdokument, sicherlich aber keine große Kunst.

die-frau: Warum machen Sie speziell Street Photography?

Ich bin zum Abschalten schon immer gerne spazieren gegangen und habe dabei fotografiert. Irgendwann habe ich dann angefangen mich auf eine bestimmte Art vonMotiven zu konzentrieren, und versucht diese besser herauszuarbeiten. Aus dem "ich gehe mal spazieren und nehme eine Kamera mit" ist dann recht schnell ein "ich geh mal Fotografieren" geworden. Mit der Zeit lernt man einige Dinge über das Treiben auf der Straße. Das sind Kleinigkeiten, aber irgendwann erkennt man im Voraus, wo sich eine interessante Situation entwickeln könnte und welche Straßenseite potentiell einen interessanteren Hintergrund bietet. Oft bleibe ich auch an "vielversprechenden" Leuten dran, suche dabei nach dem richtigen Abstand und warte auf einen ruhigen Moment. Wenn man lange genug in der gleichen Stadt fotografiert, dann weiß man irgendwann auch, wo zu welcher Zeit das Licht besonders gut ist, wo viele Menschen unterwegs sind, und an welchen Ecken es sich lohnt gegebenenfalls mal ein paar Minuten stehen zu bleiben. Was mich an Street Photography reizt, ist wahrscheinlich genau diese Mischung von Spannung und entspanntem Flanieren.

die-frau:  Wer ist Ihr Vorbild? Wessen Arbeit respektieren Sie am meisten?

Es gibt einige Fotografen, deren Arbeiten ich  sehr bewundere, allen voran Alex

die-frau: Was bedeutet Ihnen Fotografie?

Fotografie ist für mich der beste Weg meine Umwelt tiefgreifend wahrzunehmen,die kleinen, einzigartigen Momente zu erkennen, sie festzuhalten und mit anderen zu teilen.

die-frau: Denken Sie, dass durch PhotoShop etc. die Magie der Photographie verloren geht?

Das würde ich nicht sagen. Auch in der klassischen Dunkelkammer wurden Bilder jahrzehntelang manipuliert. In Photoshop geht dies heute sicherlich einfacher und braucht weniger Vorkenntnisse. Ich denke aber, dass es in beiden Fällengrundsätzlich auf das richtige Verhältnis ankommt.

die-frau: Welches ist/wäre Ihr Lieblingsmotiv?

Ich glaube es gibt noch viel zu sehen, die besten Bilder sind noch lange nicht gemacht. In diesem Sinne ist das nächste Motiv mein Lieblingsmotiv.

die-frau: Was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Foto aus?

Da halte ich es mit dem  Magnum-Fotografen David Alan Harvey: "Ein gutes Foto ist ein Foto, das unabhängig vom kulturellen Hintergrund des Betrachters wirkt. Ob man das Bild einem Inuit zeigt oder einem Bewohner Zentralafrikas - wenn er das Bild sieht, dann weiß er, worum es geht, dann ist es ein gutes Foto"

die-frau:  Was bewegt Sie?

Mich bewegen Bilder, die eine kleine Geschichte erzählen. Je versteckter oder überraschender die Geschichte, desto bewegender das Bild.

die-frau: Wovon werden Sie inspiriert?

Ich fotografiere sehr intuitiv und lasse mich gerne überraschen von dem, was ummich herum passiert. Umgekehrt ist es aber so, dass ich bestimmte Aufnahmen wie Fotos von Obdachlosen etc. von vornherein ausschließe.
die-frau.: Was wollen Sie mit Ihrer Fotografie erreichen?

 Ich bin in der sehr glücklichen Situation, einfach nur das fotografieren zu dürfen, was mich persönlich anspricht. Ganz ohne gestecktes Ziel und völlig ambitionsbefreit. Manchmal entstehen dadurch spannende Aufnahmen, die im besten Fall auch Andere ansprechen. Bei Ausstellungen halte ich mich gerne im Hintergrund und beobachte, wie Besucher auf meine Bilder reagieren. Wie sie hier und da verweilen, Dinge auf den Bildern entdecken, vielleicht sogar lachen. In solchen Fällen habe ich viel erreicht, ein Bild hat funktioniert und Andere angesprochen. Viel mehr kann man als Fotograf nicht erreichen.

die-frau: Was hat Sie zur Fotografie bewegt?

Ich denke, ich bin eher durch Zufall zur Fotografie gekommen. Mit 18 hat mir ein guter Freund eine Kamera geschenkt, die ich auch heute noch habe. Von Anfang an war die Dunkelkammer ein magischer Ort für mich - zu sehen, wie aus einem weißen Stück Papier ein fertiges Bild wird, finde ich nach wie vor spannend. DieseFaszination hat also bis heute angehalten.

die-frau: Sieht die Welt durch die Kamera anders aus?

Nein - aber eine Kamera kann Momente festhalten, die man ohne Kamera niemals sehen würde, oder die man ohne das fertige, und hoffentlich gute, Bild niemals mit anderen teilen könnte.

die-frau: Gibt es noch etwas, das Sie lernen sollten?

Ich sollte (noch) geduldiger werden. Ich denke Geduld ist in der Street Photography die wichtigste Tugend überhaupt.

die-frau: Welche Kamera benutzen Sie?

Ich arbeite hauptsächlich mit einer unauffälligen, 25 Jahre alten analogen Kamera, einer Leica M6 mit leichtem Weitwinkelobjektiv und auf SW Film.

die-frau: Wo kann man Sie abends finden?

Ich befürchte, in dieser Hinsicht bin ich sehr bodenständig. Meine Abende verbringe ich entweder mit meiner Familie oder bei der Bearbeitung meiner Bilder.

die-frau: Haben Sie einen Lieblingsfilm?

Ich habe keine bestimmten Lieblingsfilm. Grundsätzlich kann ich mir aber alle Wim-Wenders-Filme beliebig oft anschauen.

die-frau: Ein Lieblingsbuch?

Fahrenheit 451 von Ray Bradbury. Die Verfilmung mit dem Wiener Schauspieler Oskar Werner ist übrigens auch sehr sehenswert.

die-frau: Welche Musik hören Sie?

Oh, da muss ich passen. Sämtliche Abspielgeräte sind bei uns mit den Hörgeschichten unserer 4-Jährigen Tochter belegt.

die-frau: Welche Zukunftswünsche haben Sie?

Mit fast 40 Jahren kommt man schon fast in das Alter, wo man sich vor allem wünscht, gesund und glücklich zu bleiben. Ansonsten hoffe ich zukünftig möglichst viele Städte bereisen zu können, und auch einmal in anderen Kulturkreisen zu fotografieren. Der Nahe Osten, insbesondere Iran, interessiert mich sehr. Ich hoffe, dass sich die politische Situation dort bald entspannt und dies möglich wird.

Sandra Bakula

die-frau.ch