Leute & Lifestyle > Frauen im Fokus
Kann das sehr lange Leben der Schwester jenes kurze des Bruders ausgleichen?
26.04.2012
Hilda Schärf, die Gattin von Bundespräsident Dr. Adolf Schärf und Mutter der beiden Kinder Martha und Reinhold, stammte aus St. Peter, damals noch bei Graz, heute ein Stadtbezirk im Südwesten der Landeshauptstadt. Am 17.4.1917 erblickte Martha in einer langen, schweren Geburt das Licht der Welt. Reinhold folgte am 11.5.1919, wobei sowohl Mutter und Kind in einem schwächlichen Zustand waren. Die beiden Kinder überstanden schon früh  gefährliche Krankheiten: 1919, schon im 1. Lebensjahr, hatte Reinhold einen schweren Keuchhusten, 1924 hatte Martha einen Lungenspitzenkatarrh. Die Geschwister wuchsen in einem innigen Verhältnis zueinander auf, sie waren oft gemeinsam in den Ferien. So genossen die Kinder 1929 den Urlaub in Grado, während die Eltern in Paßriach in Kärnten weilten. 1930 schließlich begannen beide den Violin-Unterricht. Ihr Vater, Dr. Adolf Schärf, wurde von 12.2. bis 15.5.1934 das erste Mal von der Staatspolizei des Dollfuß-Regimes inhaftiert. Von 12.3.-27.3.1938 wurde Dr. Schärf das zweite Mal verhaftet, diesmal vom Nazi-Regime. Wieder hatte es Dr. Schärf seiner emsigen Frau Hilda zu verdanken, dass er freikam.

Nach der Matura besuchte Martha ab Herbst 1935 das Reinhardt-Seminar, studiere daneben aber auch Anglistik. 1937 wurde sie am Schauspielhaus Zürich verpflichtet. Doch bereits 1938 ergaben sich solche Schwierigkeiten mit ihrer schauspielerischen Karriere, dass sie beschloss,  mit 1.1.1939 in Wien als Betreuerin von Kindern in sozial gefährdeten Familien zu arbeiten. 1937 riet Dr. Schärf seinem Sohn Reinhold analog zu seinem eigenen Werdegang vor dem Studium den Militärdienst abzuleisten. Er rückte in Spittal in Kärnten ein und wurde im November 1937 nach Wien versetzt. Reinhold wurde 1938 zum Infanterieregiment Linz versetzt, wo er den Einmarsch ins Sudetenland mitmachte. 1939 aber wurde es für ihn Ernst:  Die Dienstpflicht für Soldaten wurde verlängert. Dabei wollte Reinhold doch ab September 1939 wieder zu Hause sein. Er kam im Gegenteil weit in Europa herum: Von Magdeburg aus nahm er am polnischen Feldzug, dem Beginn des 2. WK, teil und wurde im Herbst Unteroffizier. Von Februar bis Mai 1940 kam er in die Reserveoffiziersausbildungsschule nach Döberitz, einem Truppenübungsplatz bei Berlin. Einmal noch sollte er eine Zeit erleben, in der er sich sehr wohl fühlte: Er kam nach Ried im Innviertel, gewann die Landschaft dort lieb und wurde Feldwebel. Oktober 1940 besuchte er aus Anlass der silbernen Hochzeit seine Eltern. Zuvor war er zum Leutnant befördert worden. August 1941 ging er als Ordonnanzoffizier ins Baltikum, kam dann er bald wieder nach Ried zurück. Oktober 1941 teilte er mit, dass er und einige andere Offiziere zur Ostfront nach Russland abkommandiert worden seien. - Kann es ein Zufall sein, dass der Sohn eines standhaften Sozialdemokraten Dr. Schärf, also eines ausgewiesenen politischen Gegners der Nationalsozialisten, an die vorderste Front, an die gefährlichste Stelle des Krieges abkommandiert worden ist? -  Es folgten Nachrichten aus Warschau und Smolensk, in der Reinhold u. a. das hilfsbereite Wesen der Einheimischen lobte. Er fügte hinzu, der nächste Brief werde wohl erst in einem größeren Zeitabstand kommen.   

Der tödliche Befreiungsversuch und die Suche nach dem Grab

Der Bataillonskommandant übertrug aufgrund der Lücken, die der harte Kampf im November 1941 bereits in die angreifenden Reihen gerissen hatte, dem noch relativ unerfahrenen Reinhold die Führung der 2. Kompanie. Ehrenhaft führte Reinhold diese Aufgabe 2 Tage aus.   

In der Weite der russischen Landschaft stehen einander nun am 15.11.1941 bei der Ortschaft Ssenjatino eine Einheit von 6 russischen Panzern ohne begleitende Infanterie und auf der Angriffsseite ein schlecht ausgerüstetes Bataillon der 137. Infanteriedivision aus Deutschen und Österreichern gegenüber. In dem dichten, verschneiten Waldgebiet südlich von Moskau gibt es eine unangenehme Pattstellung. Der Kamerad Hubert Scheuren schildert den 15.11.1941: „Die 6 Panzer haben sich am Nord- und Südrand der Lichtung aufgebaut, jagen in gewissen Zeitabständen Feuerstöße planlos in die Gegend. Bei der Schneehelligkeit ist es auch nicht leicht möglich, so nahe an sie heranzustreichen, dass eine geballte Ladung mit Erfolg angebracht werden kann. Der wagemutige Lt. Schärf glaubt jedoch, es trotz Warnung versuchen zu müssen, uns von den äußerst lästigen Geschoßgarben des uns am nächsten stehenden T 34 (russischer Panzer) zu befreien. Das Helldunkel der Lichtung wird ihm zum Verhängnis. Beim letzten Ansprung trifft ihn das feindliche Geschoß und reißt ihn aus unseren Reihen: „Bleib du im ewigen Leben, mein guter Kamerad!“ Der Uhrzeiger steht etwa auf 18.00.“ (Das Bergmann-Echo. Mitteilungsblatt für die Kameradschaft der Bergmann-Division (137. I.D.)  7. Folge / Sept. 1961, S. 9). Interessant ist es, dieses Draufgängertum  mit einer ähnlich wagemutigen Handlung von Reinhold zu vergleichen, wie sie der Vater in seinem Buch schildert und lobt:  „Besonders gefiel es mir (A. Schärf), dass der 15-jährige Knabe (Reinhold) nach Ablauf seiner Zeit im Heim (im Land Salzburg) den Mut dazu fand, allein in die Stadt Salzburg zu fahren und in einer Jugendherberge Quartier zu nehmen, um die „Faust“-Vorführung der Salzburger Festspiele zu erleben.“ (Schärf, Adolf: Erinnerungen aus meinem Leben. Wien 1963, Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, S. 147) Weiters fällt auf, wie schablonenhaft ehrwürdig die Todesnachricht an die Angehörigen gehalten ist im Unterschied zur historischen unverblümten Schilderung von Scheuren. Aber auch er macht keine Angaben darüber, ob und wie die Leiche von Reinhold geborgen bzw. bestattet wurde.

Wie lang die Todesmeldung damals von Russland brauchte, zeigt folgende Chronologie:   Tod Reinholds am 15.11.1941 in Russland, 24.11.1941 Datum des Schreibens des Bataillonskommandanten, das dann am 21.12.1941 die Familie in Wien in Form eines Briefes erhielt.   „Ein Brief brachte die Nachricht vom Tode Reinholds. Hilda, Martha und ich waren erschüttert. Wir konnten uns nicht fassen; nach dem, was uns Reinhold geschrieben hatte  - er war wieder als Ordonnanzoffizier eingeteilt -, hatten wir nicht daran gedacht, dass er selbst so rasch in die Kampffront kommen werde; (….) Zwei Tote an einem Tag! Die Mutter (von Dr. Schärf) und der einzige Sohn!“ (Schärf, S. 164) Posthum wurde Reinhold Schärf zum Oberstleutnant befördert.
 

First Lady Martha

Mitte 1940 ging die Anwaltskanzlei von Dr. Adolf Schärf schon so gut, dass es sich die Eltern leisten konnten, ein Medizin-Studium für Martha zu finanzieren. Damit wurde der Grundstein dafür gelegt, wofür Dr. Martha Kyrle, geborene Schärf, ihren Rang in den Geschichtsbüchern sicherstellte: als Medizinerin und Philanthropin. Im Jahre 1944 erkrankte Hilda an einem sehr schweren Herz- und Kreislaufleiden, die Ärzte malten ihr Ableben im schlimmsten Fall binnen Monaten an die Wand. Tatsächlich lebte sie noch bis 1956. Hatte sie bis dahin ihren Mann, der inzwischen bis zum Vizekanzler aufgerückt war, auf dessen Reisen begleitet, so übernahm die promovierte Tochter ab ihrem Tod die Aufgaben einer First Lady bei Staatsbesuchen ihres Vaters.  So auch bei jenem Staatsbesuch vom 5.10.-15.10.1959 von Bundespräsident Dr. Adolf Schärf in Russland bzw. in Moskau. Damals kam auch das Grab von Reinhold Schärf zur Sprache. Doch die russischen Behörden verweigerten den Zugang, obwohl sie möglicherweise den genauen Ort der Grabstätte wussten. (Zur Zeit sind mehrere historische Institute beauftragt, diese Lebensfrage Frau Dr. Kyrles zu erforschen, sodass sich dann ein großer Wunsch von Dr. Kyrle erfüllen könnte: das Grab ihres Bruders in Russland besuchen.) 1961 war Dr. Kyrle anlässlich des amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffens in Wien sogar Gastgeberin von Jacqueline Kennedy und Nina Chruschtschowa. Als langjährige Präsidentin und Protektorin des österreichischen UNICEF-Komitees war es ihr besonderes Anliegen, kranken und behinderten Kindern zu helfen. Aus ihrer Ehe mit dem Arzt und Universitätsprofessor Paul Kyrle gingen 2 Söhne hervor. Johannes Kyrle ist Botschafter und ranghoher Beamte im österreichischen Außenministerium, während der jüngere Sohn Paul Alexander Kyrle als  Universitätsprofessor für Innere Medizin im Allgemeinen Krankenhaus Wien eher den Anlagen seiner Eltern nachgerät. 

 

Dieser Tage feierte Fr. Dr. Kyrle ihren 95. Geburtstag in Wien. Wer hier erlebt hat, wie geistig firm und körperlich vital die Jubilarin ist, in welcher Reife sie sprüht, ist schwer beeindruckt. Ihre menschliche Stärke hat zusammen mit der Verarbeitung der Höhen und Tiefen ihres Lebens eine große Persönlichkeit geformt. die-frau wünscht viele weitere große Jahre!  

WaHo

Fotos: Alpert /wikimeda Commons
Kessler, Rudolf/ Commons: Bundesarchiv
Österreichisches Pressebüro

die-frau.ch