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Ein Liebes-Lawinen-Drama, das die Gralshüter der Kunst überrollt
17.01.2012
Wenn am Dreikönigstag 2012 im Hauptabendprogramm des ORF der Film „Der Atem des Himmels“ über den Äther geht, ist das so etwas wie ein österreichisches Filmwunder, das sich auf seine Weise durchaus mit dem Oskar prämierten Film „Die Fälscher“ messen kann. Der Regisseur Reinhold Bilgeri war zuerst Zeichen- und Deutschprofessor in Vorarlberg, bevor er im Austropop mit dem Hit “Video Life“ einen Stammplatz ergatterte. Nach dem Abbröckeln des Austro-Pop auf einige wenige Evergreen-Größen wie STS, Ambros, Fendrich etc. wurde es auch um den Pop-Bilgeri still. Er widmete er sich verstärkt dem Kabarett,  Video und der Literatur (Hörspiele, Erzählungen; möglicherweise unter Anreiz seines Freundes von Kindheit an, Michael Köhlmeier). 2005 erschien sein gleichnamiger Roman, in dem er die Geschichte seiner Mutter, vor dem Hintergrund des historischen Lawinenunglücks in Blons (Großes Walsertal, Vorarlberg) 1954 mit 57 Toten verarbeitete. Er betrieb genaue Recherche am Ort des Unglücks, komponierte aus vielen Interviews mit Hinterbliebenen und Überlebenden einen historisch verbürgten und menschlich berührenden Roman.

Überleben im Roulette des Lawinentodes

Der Roman beginnt mit einer ausgedehnten Sterbeszene, in der der Vater der Protagonistin Erna von Gaderthurn nicht von seiner am verlorenen Adelsgehabe hängenden Gattin, sondern von seiner freisinnigen Enkelin Erna begleitet wird. Schon hier zeigt sich eine Meisterschaft des Autors, nämlich trotz starker, melancholischer Ereignisse nicht in Weinerlichkeit und Kitsch abzugleiten. Die Gaderthurns müssen wegen einer späten (Un-)Heirat des Großvaters ihr Schloss verlassen, Erna erhält eine Stelle in ihrem Traumberuf Lehrerin in Blons. Wenn auch immer wieder einmal holprige Textstellen vorkommen („das Alphabet der Liebe hatte 8 Jahre geschwiegen“ für 8 Jahre keinen Geschlechtsverkehr oder die Charakterverkehrung des Polizisten Metzler, der sich vom skrupellosen Schergen des Barons plötzlich zum schuldbewussten Selbstmörder Werner verwandelt), so wartet der Roman umgekehrt mit sehr gelungenen Schilderungen auf und treibt die Handlung in einem spannenden, aber nicht zu spannenden Tempo voran. In dem hoch gelegenen 300 Seelen Dorf gerät Erna zwischen die Liebesfronten eines Lehrer- und Geisteskollegen, der Liebe ihres Lebens, Eugenio Casagrande, und einem von seiner Nazi-Mutter noch immer unterdrückten reichen Baron. Beide stehen auch für gegensätzliche Positionen den Lawinenschutz betreffend. Casagrande setzt sich vehement für eine Verstärkung und Erneuerung der Schutzbauten oberhalb von Blons ein, der Baron als Besitzer der Almweiden, auf dem die Vorkehrungen gebaut werden sollen, ist strikt dagegen und geht sogar so weit, Casagrande einem Diebstahl zu unterschieben, den er, der Baron, organisiert hat. Eugenio und Erna müssen ihre Liebe vorerst aus zwei Gründen verheimlichen: Hier oben wird eine wilde Ehe drakonisch verachtet und zweitens wollen Erna und Casagrande den in Erna verliebten Baron solange warm halten, bis dieser aus Liebe zu Erna endlich seine Weiden für den Lawinenschutz verkauft. Als an einen mysteriösen Vorboten des Kommenden wird beständig auf das außergewöhnliche Wetter im Herbst und Winter 1953 in Blons hingewiesen, das letztlich zum Vollstrecker wird. Im Herbst gab es fast überhaupt keinen Niederschlag, Weihnachten war es warm und die Gebirgswiesen noch grün. Bis plötzlich am 9.1.1954 ein starker Schneefall einsetzt mit Flocken so groß wie Handflächen. Dazu kommt ein orkanartiger Sturm, der die Schneelage noch zusätzlich instabil macht. Jetzt zum Schluss des Heimatromans folgt die minutiöse Schilderung der verheerenden zwei Tage, in denen ständig Lawinen abgehen, mit einer Wucht, dass ganze Häuser durch die Luft fliegen. Ein unbedingter Überlebenswille stärkt Erna das Glück, vom weißen Tod nicht ausgewählt zu werden. Dass das inbrünstige Beten der Blonser Bevölkerung die tödlichen Lawinen nicht verhindern konnte, sondern nur die vom Menschen ausgedachten Schutzvorrichtungen, mag als Wendepunkt vom religiösen Vertrauen in die Natur zu ihrer modernen technischen Beherrschung gesehen  werden.

Bilgeri, dessen literarische Versuche bis dahin kaum ein Echo gefunden hatten, schrieb in kurzer Zeit einen Roman, der gewisse Rezepte eines Unterhaltungsromans beinhaltet: eine geradlinige Liebesgeschichte, üppige Bilder, keine geheimnisvollen, sondern vollplastische Figuren, politische und zeitgeschichtliche Einstreuungen und ein bis heute aktueller Umweltkonflikt (man denke an Galtür 1999). Das halten die professionellen Schreiber und Kritiker für plakativ, populär, beschränkt oder gar Dieter-Bohlen-haft.  Doch das Lesepublikum schert sich keinen Deut um die Säulenheiligen und beschert dem wie ein Phönix aus der Asche gestiegenen Autor einen großen Verkaufserfolg.    

Ein Filmwunder außerhalb des Schemas

Also was Filmwunder? Das besteht darin, dass er seinen Roman-Bestseller nicht erst durch Betteln um Subventionen bei der Kino-Schickeria Österreichs verfilmte, sondern sein Privatvermögen (u.a. ein sehr schönes Eigenheim) auf die Karte setzte und von einem befreundeten amerikanischen Schauspieler insgesamt 4,5 Millionen € aufstellte. Damit verfilmte er das Liebensdrama 2010 als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent. Bilgeri besetzte die Erna praktischerweise mit seiner Frau Beatrix. Und erhielt bald nach dem Start in Wien einen Preis für die Rekordbesucherzahlen. Einladungen zu Filmfestivals folgten, bis er unlängst in China einen bedeutenden Filmpreis erhielt. Der Regisseur meint sinngemäß, starke Liebesgeschichten vor beeindruckenden Naturbildern funktionierten eben auf der ganzen Welt.

WaHo

die-frau.ch