Das Leben ein Fest > Zu sehen
Und als er nicht nett war, sagte sie ihm „ja“
15.01.2012

Als eines der berühmtesten Bühnenwerke verschaffte die „Dreigroschenoper“ Bertolt Brecht Weltruhm. Seit seiner Uraufführung 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, zählt es zu den weltweit bekanntesten und meistgespielten Theaterstücken und hat nichts an Aktualität verloren.

Die Gauner sind bürgerlich; die Bürger Gauner

Der Gauner Mackie Messer  (Marcello de Nardo) will ins Bankgeschäft einsteigen. Warum sich mit Polizei und Justiz als Gauner herumärgern, wenn man als Banker den Leuten auf viel angenehmere und legale Weise das Geld aus der Tasche ziehen kann? In Zeiten wie diesen erscheinen dem Zuseher derlei Erwägungen mehr als nachvollziehbar. Wenn dann noch an die Justiz adressiert der Satz: „Natürlich sind Sie nicht bestechlich. Man kann Ihnen gar nicht so viel zahlen, dass sie Recht sprechen würden.“, fällt, so bleibt dem Zuseher  in Anbetracht der aktuellen politischen Verhältnisse das Lachen im Halse stecken.

Dem Zuseher sticht die geballte Ladung an nackter weiblicher Haut ins Auge. Ein „Perlen-vor-die-Säue-werfen“, denn auf der Bühne gibt es keinen einzigen echten Mann.  Mackie Messer als ehemaliger Zuhälter, der das Bett verließ, sobald ein Freier kam, lässt es ungerührt, ob ihm Frauen nackt oder bekleidet gegenüberstehen. Für ihn sind Frauen nur Kapital und Mittel zum Zweck. Die einzigen, die das nicht verstehen, sind die Frauen selbst. Er umgarnt sie so unnett, das aber mit Nachdruck, dass die Frauen Mackies kindliche „Ich will haben!“-Attitüden für Männlichkeit halten. Am härtesten trifft das die Huren (Maria Bill, Johanna Wihalm, Franziska Hetzel, Verena Sigl, Elisabeth Weninger, Valerie Tiefenbacher), die diesen jämmerlichen Abklatsch eines Mannes für liebevoll und treusorgend halten.

Selbst der hartgesottene Polizeikommandant Brown (Thomas Kamper) beweint das Ende der Liebe zwischen ihm und Mackie Messer. Im kommen die Tränen, als Mackie, anstatt ihn anzuschreien, mit Ignoranz und Stille bestraft.  Fallen schwule Männer auf dieselben Blender wie Frauen herein?

Der Text des „Song für Barbara“ von Kurt Weill, gesungen von Polly (Katharina Strasser), ist Programm: Sei nett zu mir und du kannst mich mal! Sei nicht nett zu mir und du kannst mich immer!
Der gutbürgerliche Traumschwiegersohn einer jeden Mutter wird von der Tochter nicht als Mann wahrgenommen. Nein. Er wird von Polly links liegengelassen!
Aber der dunkle und gefährliche, nicht- gesellschaftskonforme Verruchte! – mit diesem assoziiert die junge Bürgerstochter von damals (und auch heute) Männlichkeit. Ja. Dieser wird zum Trotz der Eltern gewählt. Eine altbekannte und allgegenwärtige Problematik!
Katharina Strasser überzeugt mit schauspielerischer und gesanglicher Darbietung, wenn auch anfänglich in ungewohnt hoher Tonlage.

Nackheit als Lusttöter

Die „Puffmutter“ (Maria Bill) ist bekleidet; ihr Gefolge meist Splitter-Faser-nackt. Dadurch wird der Zuseher vom eigentlichen Schauspiel abgelenkt, oder ist die Nacktheit bereits das Schauspiel? Die geballte Nacktheit in dieser Inszenierung ist nicht das eigentlich verstörende, sondern die damit einhergehende Asexualität und Gleichgültigkeit der Figuren.

Fasst man alles zusammen, so ist die bürgerliche Gesinnung und Lebensweise als grob fahrlässig, gemeingefährlich und tendenziell verbrecherisch einzustufen! Da werden die Gauner nur zu Mittätern, weil sie die falschen Götzen anbeten. Das wiederum führt uns zu Brechts Umkehrschluss, dass nämlich die Verbrecher durch bürgerliche Manieren und Methoden erfolgreich, weil die bürgerlichen Methoden und Manieren selbst verbrecherisch sind. Die Folgerung geht sogar darüber hinaus. Die Methoden und Manieren sind nicht nur verbrecherisch nach den Definitionen des Strafgesetzbuches, sondern auch ein Verbrechen an den Menschenseelen:  Frauen raufen sich um Männer. Frauen werden der Liebe wegen zu Huren und Männer können keine Männer mehr sein, weil sie umgeben sind von Huren.

Gauner zu sein ist das ehrlichere Geschäft als Bürger zu sein.

Diese Produktion am Wiener Volkstheater ist zu recht bis März ausverkauft. Die Botschaft des Stückes wird gekonnt transportiert. Ursprünglich wollten die Redakteurinnen deren Kinder mit ins Theater nehmen, was mangels freier Karten scheiterte. Im Nachhinein betrachtet muss man sagen, es war besser so. Auf der Bühne werden Finger abgeschnitten und es wird ein Frauenbild dargestellt, mit dem Kinder nicht konfrontiert sein sollten. Fraglich ist nur, ob die Wirklichkeit nicht grausamer ist, als das Theater.

Marcello de Nardos Präsenz auf der Bühne bereitet dem Zuschauer von der ersten Sekunde an Unbehagen, was ihn zur perfekten Besetzung für diese Rolle macht. Mackie Messer ist Abschaum und das transportiert Marcello de Nardo ohne Worte, durch seine starke Ausstrahlung.


Das „Zicken-Duett“ zwischen Katharina Strasser und Andrea Bröderbauer, die Lucy Brown und ihres Zeichens Tochter des Polizeichefs und weitere Geliebte des Mackie Messer, darstellt, geht eindeutig zu Gunsten Katharina Strassers aus. In gesanglicher, schauspielerischer und optischer Hinsicht.

Franziska Hetzel, besticht in ihrer Rolle als Hure, die bei jedem ihrer Auftritte von Anfang bis Ende authentische Laszivität versprüht, sodass man auch als Frau von ihrem Anblick angetan ist und den Blick nicht von ihr lassen kann.

Susa Meyer verkörperte die Rolle der Frau Peachum. Sie spielt die frustrierte, sich gutbürgerlich gebende Alkoholikerin  perfekt und überzeugt mit tiefer, rauchiger Singstimme.

CS und KWH

Foto: Lalo Jodlbauer



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