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Gesellschaftlicher Abort ohne Handschutz und Schamgefühle
10.05.2014
Der Grazer Dramaturg Werner Schwab stellt mit dem Stück "Die Präsidentinnen" eine perfekte Fortsetzung seiner Reihen von Fäkaliendramen vor. Im Grunde geht es um nichts anderes als um die alltägliche Routine, die nun metaphorisch auf das gesellschaftliche Verhalten übertragen wird. Die Wortwahl mag unauffällig im Alltag sein, ist jedoch unfein für die Bühne. Verwirrend ist ungewöhnliche Ehrlichkeit und Offenheit der Äußerungen, was im Theater eher unüblich ist. Denn sowohl die Bühne als auch die Leinwand sind eine Traumfabrik, wo dem Zuschauer Idealbilder vorgegaukelt werden. Darauf, dass man zu philosophischen Gedankengängen motiviert wird, und dazu noch in einer wenig charmanten Art und Weise, ist man als Zuschauer selten gefasst.

Im Grunde ist das Leben jeder der drei Frauen aus dem Stück „Die Präsidentinnen“  ?  Greta, Mariedl und Erna  ?  vollkommen durchschnittlich. Gretas Ehemann hat sie wegen einer 18-jährigen verlassen, ihre Tochter ließ sich alles herausschneiden, was sie zu einer Frau machte: Eierstöcke, Gebärmutter... Ernas Sohn ist mittlerweile 30 und ein Stammgast im Hotel „Mama“. Außerdem ist er unfähig, eine Beziehung zu einer Frau aufzubauen. Mariedl lässt sich ausschließlich durch Reinigen von Aborten von einflussreichen Menschen beschmutzen. Sie bekommt mit, was sich in diesen Aborten über die Jahre ansammelt. Wohl solche Beobachtungen haben sie vor einer nicht funktionierenden Ehe, einer Mutterschaft, die zu einer Ehe gehört, und Prostitution in einer Beziehung geschützt.

Alle drei Frauen sind eigenständig, wobei Erna und Greta von einem Leben in einer Ehe träumen. Mariedl befasst sich mit der schmutzigen Seite der Gesellschaft jeden Tag, erlebt jeden Tag einen "Abort", und entscheidet sich dafür, über dem ganzen zu bleiben. Womöglich lässt sich dann die Schlussszene des Traumes der drei Frauen, in der Mariedl durch Erna und Greta erwürgt wird, mit der Eifersucht der zwei Frauen erklären. Denn Mariedl ist eine starke Frau, die eigenständig ihren eigenen Weg geht und lieber unabhängig bleibt.

Hyun Chu hielt die Bühnenausstattung simpel und gestaltete die Wand mit einer Widerspiegelung vom Zuschauersaal ohne Zuschauer. In der Schlussszene fiel ein schwerer schwarzer Vorhang, der die Dramatik derer verdoppelte.

Der Regisseur Miloš Lolić blieb dem Autor des Stückes, Werner Schwab, treu und legte den Darstellerinnen Fäkalworte ohne Schamgefühl und ohne Halt in den Mund. Das Licht im Saal blieb während der gesamten Vorstellung an, sodass sich die Zuschauer in die Geschehnisse involviert fühlten. Auch die durchdringenden Blicke der drei Schauspielerinnen und das direkte Ansprechen des Publikums, das ohne Antwort blieb, integrierten den Zuschauerraum in die Bühnengeschehnisse und ließ die Zuschauer vor Lachen beben.

„Die Präsidentinnen“ spielt am Wiener Volkstheater bis 20. Juni 2014.

VS

Fotos: Christoph Sebastian
 

die-frau.ch